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Verfasser dieser News:

Markus von Laufenberg

Fachanwalt für Versicherungsrecht

13. März 2014

BGH zu den Anforderungen an eine alternativen Behandlungsmethode für die Beurteilung ihrer medizinischen Notwendigkeit bei unheilbarer, lebenszerstörender Krankheit des Versicherungsnehmers

Der BGH befasste sich in einem Beschluss vom 30.10.2013 ausführlich mit der Frage, ob eine Immunbehandlung eines metastasierenden Prostatakarzinoms mit dendritischen Zellen im konkreten Fall als eine „medizinisch notwendige Maßnahme“ anzusehen war und der Krankenversicherer daher die Kosten der Behandlung zu übernehmen hat. Diese medizinische Notwendigkeit hatten die Vorinstanzen angelehnt. Der Beschluss des BGH verdient ein sorgsames Studium, da der BGH im Einzelnen die Prüfungsschritte beschrieb, die in derartigen Fällen vorzunehmen sind:

Zunächst wies der BGH darauf hin, dass mit dem Begriff der „medizinisch notwendigen Heilbehandlung“  in den MB/KK2009 auch für den Versicherungsnehmer erkennbar nicht an den Vertrag zwischen dem Versicherungsnehmer und dem behandelnden Arzt und die nach diesem Vertrag geschuldete medizinische Heilbehandlung angeknüpft wird. Vielmehr wird ein objektiver, vom Vertrag zwischen dem Arzt und dem Patienten unabhängiger Maßstab eingeführt, mit der Folge, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die seines behandelnden Arztes ankommen kann. Eine medizinisch notwendige Heilbehandlung liegt dann vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen.

Davon ist im Allgemeinen auszugehen, wenn sich eine Behandlungsmethode dazu eignet, eine Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Steht diese Eignung nach medizinischen Erkenntnissen fest, ist der Versicherer eintrittspflichtig.

Leidet der Versicherungsnehmer aber an einer unheilbaren Krankheit, bei der es für eine auf die Verhinderung einer Verschlimmerung abzielenden Heilbehandlung keine in der Praxis angewandter Behandlungsmethode gibt, die sich nach medizinischen Erkenntnissen zur Herbeiführung wenigstens dieses Behandlungszieles eignet, kommt dann jeder durchgeführten Behandlung zwangsläufig Versuchscharakter zu, für die der Nachweis medizinischer Eignung natürlich nicht geführt werden kann. Das schließt nach der zutreffenden Ansicht des BGH dann aber die Annahme der medizinischen Notwendigkeit nicht aus, jedenfalls dann nicht, wenn die Behandlung auf eine schwere, lebensbedrohende oder sogar lebenszerstörende Krankheit zielt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne die entsprechende Klausel in dem MB/KK nur dahingehend verstehen, dass bei einer unheilbaren, lebenszerstörenden Krankheit auch eine Heilbehandlung als notwendig anzusehen ist, der zwar noch ein Versuchscharakter anhaftet, die aber jedenfalls medizinisch begründbar Aussicht auf Heilung oder Linderung verspreche.

Der BGH führt dann aus, dass daher bei einer lebensbedrohenden oder lebenszerstörenden, unheilbaren Erkrankung nicht mehr darauf abgestellt werden könne, ob sich die gewünschte Behandlung zur Erreichung des vorgegebenen Behandlungsziels tatsächlich eignet. In diesen Fällen müsse es ausreichen, wenn die Behandlung nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Dabei sei noch nicht einmal zu fordern, dass der Behandlungserfolg näher liege als sein Ausbleiben. Vielmehr reiche es aus, wenn die Behandlung nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lasse.

Der BGH führt weiter aus, dass setze lediglich voraus, dass die gewählte Behandlungsmethode auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruhe, der die prognostizierte Wirkung auf das angestrebte Behandlungsziel zu erklären vermag, sie also zumindest wahrscheinlich mache. Einer solche Annahme stehe nicht entgegen, dass eine Behandlungsmethode noch nicht in der medizinischen Literatur nach wissenschaftlichem Standard dokumentiert und bewertet worden sei. Läge eine entsprechende Veröffentlichung vor, könne dies für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit bedeutsam sein. Auf das Fehlen von Veröffentlichung alleine könne die Verneinung der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung aber nicht gestützt werden. Für die Beurteilung der Behandlungsmethode könne schon ausreichen, wenn diese vor der Behandlung des Versicherungsnehmers bereits anderweitig erprobt worden ist. Hätten entsprechende Behandlungen schon zuvor in einer solchen Anzahl stattgefunden, die Aussagen jedenfalls darüber zulassen, ob die Behandlung die mit ihr erstrebte Wirkung wahrscheinlich zu erreichen geeignet ist, kann nach Ansicht des BGH darin ein besonders aussagekräftiger Umstand für die Beurteilung der Notwendigkeit der Behandlung zu erkennen sein.

Der BGH führte in diesem Beschluss dann weiterhin aus, dass zunächst zu prüfen sei, ob im konkreten Fall die schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Im konkreten Fall hatte der Versicherer verschiedene noch nicht vom Versicherungsnehmer durchgeführte schuldmedizinische Behandlungsmöglichkeiten genannt. Zu diesen Behandlungsmöglichkeiten fordert der BGH aber die Prüfung dahingehend, welchem Ziel die genannten Behandlungsansätze jeweils dienen und welchen Erfolg sie versprechen. Denn die Bestimmung der Leistungspflicht des Versicherers habe sich in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung des Versicherungsnehmers auch daran zu orientieren, was einerseits anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen zu leisten vermögen und andererseits die Alternative, vom Versicherungsnehmer gewünschte Behandlung zu leisten vorgibt. Dazu sei zunächst das konkrete Behandlungsziel der in Betracht kommenden schulmedizinisch anerkannten Maßnahmen zu klären und dabei zwischen der Heilung einer Krankheit, der Verhütung ihrer Verschlimmerung und der Linderung von Krankheitsbeschwerden zu unterscheiden. Als vorrangiges Behandlungsziel sei nach Möglichkeit stets die Heilung der Krankheit anzustreben, während die Verhütung einer Verschlimmerung oder die bloße Linderung von Krankheitsbeschwerden regelmäßig nachrangiger Behandlungsziele seien. Biete die Schulmedizin nur noch palliative, d.h. auf eine Reduzierung der Krankheitsfolgen gerichtete Therapien an, weil sie jede Möglichkeit kurativer Behandlungen als aussichtslos erachte, komme die Notwendigkeit einer Alternativbehandlung schon dann in Betracht, wenn sie eine durch Indizien gestützte Aussicht einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg biete. Der in einer schwer lebensbedrohlichen oder lebenszerstörenden Krankheit leidende Versicherte könne nicht auf lediglich die Eindämmung oder Linderung von Krankheitsbeschwerden dienende Standardtherapien verwiesen werden, wenn eine Alternativbehandlung die nicht ganz entfernte Aussicht auf weitergehende Heilung biete.

In dem vom BGH zu beurteilenden Verfahren war das Berufungsgericht, welches die Klage des Versicherungsnehmer abgewiesen hatte, davon ausgegangen, dass die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die vom Kläger gewünschte Behandlung davon abhänge, dass sie sich über eine gewisse Dauer bewährt habe und Erfolge vorweisen könne, die diejenigen Methoden, die mit überwiegend anerkannten schuldmedizinischen Methoden oder Arzneimitteln erzielt wurden, gleichstünden. Der BGH führte hierzu wörtlich wie folgt aus:

Sollte die neue Verhandlung ergeben, dass im Dezember 2010 für den Kläger nur noch schulmedizinisch etablierte Behandlungen und Mittel zur Verfügung gestanden hätten, auf die er sich nach dem oben Gesagten nicht mehr verweisen lassen muss, schied ein Vergleich mit den Erfolgen dieser Behandlungsmethoden naturgemäß aus. Für die Notwendigkeit der Behandlung mit dendristischen Zellen reichte es dann ungeachtet des bisherigen Versuchscharakters dieser Methode aus, wenn sie – mittels Indizien medizinisch begründbar – eine nur wahrscheinliche Aussicht auf Heilung verspräche. Dafür könnten u.U. auch die Ergebnisse der vom Sachverständigen erwähnte Pilotstudie und Erfahrungen der die Behandlung mit dendristischen Zellen erforschenden Ärzte herangezogen werden. Diesbezüglich wird das BG  (= Berufungsgericht) weitere Feststellungen zu treffen haben.

Das Problem der medizinischen Notwendigkeit von alternativen Behandlungsmethoden gerade bei lebensbedrohlichen  und / oder unheilbaren Erkrankungen ist vielfach Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen (vgl. z.B. OLG Köln, Beschl. v. 24.07.20009, Az.: 20 U 55/09 zur Galvano-Therapie bei Prostatakrebs; OLG Koblenz, Urt. v. 12.04.2013, Az.: 12 U 269/12 zur retrobulären Injektionsbehandlung bei einer trockenen Makulardegeneration).

Der BGH hat in seinem Beschluss vom 30.10.2013 vielleicht auch deshalb die maßgeblichen Grundsätze nochmals ausführlich zusammengefasst und war im konkreten Fall wohl der Meinung, dass die die medizinische Notwendigkeit verneinende Ansicht in dem von ihm aufgehobenen Urteil des OLG Bremen jedenfalls mit den bisherigen Feststellungen des OLG Bremen nicht begründbar war.

In derartigen Streitigkeiten zwischen einem Krankenversicherten und dem Versicherer ist sorgsam darauf zu achten, dass die den Sachverhalt beurteilenden Gerichte diese Prüfungsmaßstäbe des BGH auch einhalten. Dabei ist es entscheidend, dass in den von den Gerichten in diesen Fällen regelmäßig verkündeten Beweisbeschlüssen die Fragestellungen an den Sachverständigen, der die Frage nach der medizinischen Notwendigkeit beantworten soll,  entsprechend den Vorgaben des BGH im Beschluss vom 30.10.2013 formuliert werden.

Der BGH hat noch nicht abschließend darüber entschieden ist, ob die Behandlung eines metastasierenden Prostatakarzinoms mit dendristischen Zellen eine medizinisch notwendige Behandlung ist oder nicht. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass es insoweit nie eine allgemein gültige Antwort geben wird, da die medizinische Notwendigkeit immer nur im  konkreten Einzelfall geprüft wird und die Beantwortung der Frage z.B. auch davon abhängt, ob und inwieweit im konkreten Fall bereits andere schulmedizinische Behandlungen stattgefunden haben bzw. ob auf diese noch verwiesen werden darf.

[BGH, Beschl. v. 30.10.2013 – Az. IV ZR 307/12, veröffentlicht in: r+s 2014, S. 25 ff.]