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Verfasser dieser News:

Markus von Laufenberg

Fachanwalt für Versicherungsrecht

13. Juli 2013

Ungelöste Probleme der Berufsunfähigkeitsversicherung: Befristung des Leistungsanerkenntnis des Versicherers nach § 173 Abs. 2 VVG

Versicherer erkennen gelegentlich ihre Leistungspflicht aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung nur für einen bestimmten Zeitraum an.

Der Gesetzgeber hat mit dem neuen VVG in § 173 Abs. 2 VVG ab dem 01.10.2008 erstmals für die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU-Versicherung) Regeln für die Befristung eines Leistungsanerkenntnisses des Versicherers normiert. Bis heute ist aber noch nicht höchstrichterlich geklärt, ob und welche Anforderungen an die Entscheidung eines Versicherers, ein Anerkenntnis zu befristen, zu stellen sind. Die Rechtsauffassungen, wie dies zu erfolgen hat, gehen deutlich auseinander:

Nach einer Meinung bedarf die Befristung nach eines sachlichen Grundes. Die Vertreter dieser Meinung verweisen auf die gesetzgeberischen Motive zu § 173 VVG 2008 in der Begründung zum Referentenentwurf (RefE) des VVG, S. 153:

„Die Praxis hat gezeigt, dass aus der Sicht beider Vertragspartner ein Bedürfnis besteht, in zweifelhaften Fällen bis zu einer abschließenden Klärung zunächst eine vorläufige Entscheidung zu ermöglichen. Dies gilt insbes. auch für den Fall, dass sich der Versicherer die Prüfung vorbehalten möchte, ob sich der Versicherungsnehmer auf eine andere Tätigkeit verweisen lassen muss.“

Hieraus wird gefolgert, dass § 173 Abs. 2 VVG 2008 keinesfalls ein im Belieben des Versicherers stehendes, zeitlich befristetes Leistungsanerkenntnis zulassen will. Nur wenn eine abschließende Prüfung der Verweisungsfrage noch nicht erfolgen könne oder ein vergleichbarer Sonderfall vorliege, soll ein zeitliches befristetes Leistungsanerkenntnis möglich sein. Ein generelles befristetes Leistungsanerkenntnis würde das Hauptleistungsversprechen des Versicherers in der Berufungsunfähigkeitsversicherung unangemessen einschränken.

Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass auch die Befristung nach § 173 VVG in Zukunft eines Grundes bedürfe. Danach soll ein Grund hierfür, insoweit über die bisherige Rechtslage hinausgehend, nach der Gesetzeslage nicht nur in einer unklaren Verweisungsfrage liegen können. Zusätzlich sei dies auch aufgrund der Tatsache möglich sein, dass die Frage der Berufsunfähigkeit im bisherigen Beruf trotz ordnungsgemäßer Prüfung durch den Versicherer in vertretbarer Zeit nicht abschließend zu klären ist oder auch darin, dass in einer nicht abschließend entscheidungsreifen Sache der Versicherungsnehmer (VN) selbst darum ersucht; also Fälle, die nach bisherigem Recht oft durch Kulanzleistungen gelöst wurden.

Die Gegenansicht vertritt den Standpunkt, dass für die Befristung des Anerkenntnisses kein sachlicher Grund und auch keine nachvollziehbare Begründung erforderlich seien. Es wird zunächst auf den Wortlaut des Gesetzes verwiesen. Auch Sinn und Zweck der Regelung erforderten keinen besonderen sachlichen Grund. Denn allein der Schutz der dauerhaften Lebensplanung des VN gebiete nicht, dem Versicherer die Möglichkeit der Befristung zu nehmen. Planen könne der VN auch für die Dauer der Befristung. Dass der VN zunächst nicht dauerhaft mit der Versicherungsleistung rechnen könne, sei dabei schon deswegen keine unangemessene Benachteiligung, weil er auch nicht die volle Darlegungs- und Beweislast getragen habe.

Der Gesetzgeber habe zudem gerade wegen des befristeten Anerkenntnisses die Prognosefiktion aus den Musterbedingungen nicht übernommen, so dass jedenfalls einfache Zweifel des Versicherers ausreichend seien. Auch die Begründungserfordernisse würden nicht überzeugen, weil es hier nicht um Hinweise auf außervertragliche Regelungen gehe mit entsprechend umfänglichen Aufklärungs- und Warnpflichten, sondern um gesetzliche Vorgaben zu innervertraglichen Regelungen, so dass es an der Grundlage einer Begründung der „Änderung der Rechtslage“ fehle. Abs. 2 Satz 2 schließe gerade die Regeln des Nachprüfungsverfahrens (174) für das befristete Anerkenntnis aus, könne also nicht contra legem eingeführt werden. Letztlich, so diese Argumentation, würden die Befürworter einer Begründungspflicht die Versicherer geradezu dazu zwingen, in Zweifelsfällen abzulehnen, statt – möglicherweise irrtümlich – unbefristet anzuerkennen.

Dieser Gegenmeinung ist einzuräumen, dass der Wortlaut des Gesetzes weder einen sachlichen Grund noch eine nachvollziehbare Begründung verlangt. Allerdings folgt aus dem Gesetzeswortlaut aber auch keinesfalls die Zulässigkeit einer sachgrundlosen Befristung an sich, wenn es dort heißt:

Das Anerkenntnis darf nur einmal befristet werden. Es ist bis zum Ablauf der Frist bindend.

Aus dem Wortlaut folgt: Es darf „nur einmal“ befristet werden; darin liegt die entscheidende Botschaft des § 173 Abs. 2 Satz 1 VVG. Über die Voraussetzungen für ein zeitlich begrenztes Anerkenntnis schweigt sich das Gesetz aus. Dennoch dürfte die für eine begründungslose Befristung plädierende Meinung nicht zutreffend sein.

Durch die Regelung in § 173 Abs. 2 wurde vom Gesetzgeber kein eigenständiges Befristungsrecht des Versicherers eingeführt, der Abs. 2 ist Verbindung mit § 173 Abs. 1 zu lesen. Dies folgt zwangsläufig aus der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechtes:

Zu § 173 (Anerkenntnis)

Zu Absatz 1

Eine relativ große Zahl von Streitfällen in der Berufsunfähigkeitsversicherung hat ihre Ursache u.a. darin, dass bei dauernder Berufsunfähigkeit hohe Versicherungsleistungen zu erbringen sind. Diese haben jedoch für den Versicherungsnehmer Lohnersatzfunktion und sollen alsbald nach Eintreten des Versicherungsfalls meist für den Lebensunterhalt oder zur Bezahlung einer Ersatzkraft zur Verfügung stehen. Daraus folgt ein schützenswertes Interesse, dass sich der Versicherer möglichst bald und für längere Zeit bindend erklärt, damit der Versicherungsnehmer diese wiederkehrenden Leistungen in seine Zukunftsplanung einbeziehen kann. Daher sieht der Entwurf in Absatz 1 die Verpflichtung des Versicherers vor, zu erklären, ob er seine Leistungspflicht anerkennt. Hinsichtlich des Zeitpunktes, in dem sich der Versicherer erklären muss, bedarf es keiner besonderen Regelung, da insoweit die Fälligkeitsvorschrift des § 14 VVG–E ausreicht.

Der Versicherer kann nach Absatz 1 ein Anerkenntnis verweigern, wenn er der Auffassung ist, die Berufsunfähigkeit sei nicht erwiesen oder die versicherte Person könne im Falle des § 172 Abs. 3 VVG-E auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden. Dagegen kann der Versicherer ein Anerkenntnis nicht mit dem Vorbehalt der Verweisung auf eine andere mögliche Tätigkeit erklären. Für ein solches auf einzelne Elemente der Berufsunfähigkeit beschränktes Anerkenntnis besteht wegen der Möglichkeit der Befristung kein schützenwürdiges Interesse der Vertragsparteien.

Der Versicherer darf sein Anerkenntnis zeitlich begrenzen. Die Praxis hat gezeigt, dass aus Sicht beider Vertragsparteien ein Bedürfnis besteht, in zweifelhaften Fällen bis zu einer abschließenden Klärung zunächst eine vorläufige Entscheidung zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass sich der Versicherer die Prüfung vorbehalten möchte, ob sich der Versicherungsnehmer auf eine andere Tätigkeit verweisen lassen muss. Die Laufzeit der zeitlich beschränkten Zusage braucht nicht geregelt zu werden, da der Versicherer für die zugesagte Dauer gebunden ist (Abs. 2, Satz 2). Es liegt daher in seinem eigenen Interesse, die Gültigkeit der Zusage nicht unangemessen lange auszuweiten.

Zu Absatz 2

Um zu Verhindern, dass der Versicherer sich einem dauernden Anerkenntnis durch mehrere aufeinander folgende, zeitlich begrenzte Leistungszusagen entzieht, kann das Anerkenntnis nur einmal zeitlich begrenzt werden (Satz 1). Von dieser Regelung darf im Versicherungsvertrag nicht abgewichen werden, auch nicht durch Einzelabrede (vgl. § 175 VVG-E). Dies schließt nicht aus, dass die Vertragsparteien nach dem Versicherungsfall zur vorläufigen Beilegung eines Streites über die vom Versicherungsnehmer geltend gemachte Berufsunfähigkeit eine Vereinbarung über zunächst wiederum zeitlich begrenzte Leistungen des Versicherers treffen.

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber die Befristungsmöglichkeiten des Versicherers durch § 173 Abs. 2  VVG nicht im Sinne einer sachgrundlosen Befristung erweitern wollte.

Nach Sinn und Zweck der Regelung kann auf einen sachlichen Grund für die Befristung nicht verzichtet werden. Insbesondere kann § 173 Abs. 2  VVG nicht in den Fällen greifen, in denen der Versicherer erst gar nicht prüft, ob die Voraussetzungen für ein Anerkenntnis vorliegen und ohne ausreichende Prüfung ein nur befristetes Leistungsanerkenntnis abgibt.

Dies folgt bereits aus der Verpflichtung des BU-Versicherers, einen Leistungsantrag seines VN zu prüfen, und, sofern die Voraussetzungen vorliegen, auch ein unbefristetes Leistungsanerkenntnis abzugeben. Diese Pflicht wird gerade durch § 173  Abs. 1 VVG nochmals ausdrücklich postuliert. Diese Pflicht des BU-Versicherers kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass letzterer schon bei einfachen Zweifeln seine Prüfung abbrechen oder aber erst gar nicht aufnehmen kann, er also z. B. in die Lage versetzt würde, die weitere gesundheitliche Entwicklung des Versicherungsnehmers abzuwarten, bevor er sich in der Sache selbst entscheidet. Denn mit einer solchen Vorgehensweise könnte der Versicherer die für ihn nachteiligere rechtliche Situation im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens willkürlich umgehen, was nicht Sinn und Zweck der Befristungsmöglichkeit ist.

Welche Anforderungen an den damit für eine Befristung erforderlichen sachlichen Grund zu stellen sind, ist noch ungeklärt. Man wird sich an die bisherige Rechtsprechung und die Motive des Gesetzgebers halten müssen; jedenfalls ist die Grenze sicherlich weit über der Willkür zu ziehen. Unabhängig davon, welche Anforderungen man an einen Sachgrund stellt, kommt eine wirksame Befristung jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn z. B. der Versicherer die medizinischen Voraussetzungen für die behauptete Berufsunfähigkeit gar nicht bzw. nicht ordnungsgemäß prüft.

Das LG Köln hatte sich kürzlich (2013) in einem Verfahren gegen einen Kölner Versicherer mit dieser Rechtsfrage zu beschäftigen. In der mündlichen Verhandlung ließ das Gericht erkennen, der erstgenannten, einen sachlichen Befristungsgrund fordernden Rechtsauffassung zuzustimmen. Zu einem Urteil kam es jedoch nicht, da der Rechtstreit auf diesen richterlichen Hinweis hin verglichen wurde und damit der Schaffung eines Präzedenzfalles durch Versicherer vorgebeugt wurde.

Zur Vertiefung für Interessierte:

  • Römer/Langheid, Versicherungsvertragsgesetz 3. Aufl. 2012, § 173 VVG Rn. 6
  • Höra, r+s 2008, 89, 94
  • Marlow/Spuhl, Das Neue VVG, 3. Aufl. 2008, S. 254)
  • Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl. 2010, § 173 Rn. 22 (Lücke)
  • Rüffer/Halbach/Schimikowski, Versicherungsvertragsgesetz 2. Auflage 2011, § 173 VVG Rn. 9 (Mertens)
  • Drucksache 16/3945 des Deutschen Bundestages, S. 105, 106