16. Januar 2014
BGH: Irreführende Angaben eines Wirtschaftsprüfers gegenüber Vertriebsbeauftragten einer Anlagegesellschaft können eine Expertenhaftung anlog derjenigen von Wertgutachtern gegenüber einem Anleger auslösen
Ein Wirtschaftsprüfer, der als Abschlussprüfer einer Kapitalanlagegesellschaft in Vortragsveranstaltungen mit Vertriebsmitarbeitern der Gesellschaft irreführende Äußerungen über die Eigenkapitalstruktur der Gesellschaft und mithin über die Werthaltigkeit von Beteiligungen tätigt und dabei in Kauf nimmt, dass seine Äußerungen von den Vertriebsmitarbeitern bei der Gewinnung neuer Kapitalanleger (stiller Gesellschafter) als maßgebliches Verkaufsargument eingesetzt werden, haftet einem Anleger, der im Vertrauen auf die vom Vertrieb gemachten Angaben zur Werthaltigkeit eine Beteiligung eingeht, analog den Grundsätzen zur Expertenhaftung für unrichtige (Wert-) Gutachten und Testate unmittelbar wegen sittenwidriger Schädigung.
Der Schaden besteht bereits in der Eingehung (Zeichnung) einer mit einem Verlust risikobehafteten stillen Beteiligung an der Anlagegesellschaft; ob das Eigenkapital der Anlagegesellschaft nicht ausreichend oder gar negativ war, ist unerheblich. Entscheidend ist nur, dass die Beteiligung weder so hochwertig noch so risikoarm war, wie sie von dem Wirtschaftsprüfer anlässlich der Vortragsveranstaltung beschrieben worden war. Denn in Fällen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten, sondern auch der Befreiung des Geschädigten von der „ungewollten“ Verpflichtung in Form der Beteiligung, die dem Geschädigten unter Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrecht aufgedrängt wurde.
In dem entschiedenen Fall hatte ein Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwalt, der als Abschlussprüfer für eine Anlagegesellschaft tätig war, auf zwei Vortragsveranstaltungen der Gesellschaft, die als Seminarveranstaltungen für Vertriebsmitarbeiter und sonstige Interessenten ausgerichtet waren, unter Hinweis auf seine Tätigkeit als Abschlussprüfer das Eigenkapital der Gesellschaft „ausgezeichnet“ genannt und die Aktien der Gesellschaft als „Blue Chips“ bezeichnet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes war das Eigenkapital der Gesellschaft indes keineswegs mit der Eigenkapitalausstattung besonders wertvoller Unternehmen wie typischer Weise großer Aktiengesellschaften mit hoher Marktkapitalisierung vergleichbar. Denn das Eigenkapital der Gesellschaft bestand nahezu ausschließlich aus Forderungen gegen die einzelnen atypisch stillen Gesellschafter (Anleger). Nach der Praxis der Gesellschaft stand es faktisch im Belieben der Anleger, ob sie den langjährig eingegangenen Raten-zahlungsverpflichtungen zur Einlageleistung nachkamen oder nicht. Ein Forderungsmanagement existierte nicht.
Die Ausführungen des – von einem Anleger verklagten – Wirtschaftsprüfers waren von einem Vertriebsmitarbeiter, der an einer der Seminarveranstaltungen teilgenommen hatte, als Akquiseinstrument benutzt und dem klagenden Anleger weitergegeben worden. In Erwartung einer besonders risikoarmen Anlage („ausgezeichnetes“ Eigenkapital, Vergleichbarkeit mit Blue Chips) hatte dieser im Jahre 2000 zunächst eine atypisch stille Beteiligung von mehr 100.000,00 DM zuzüglich Agio an der Anlagegesellschaft gezeichnet. In den Jahren 2002 und 2004 zeichnete er zwei weitere Einmaleinlagen von jeweils rund 10.000,00 €. Mit seiner Klage verlangte er von dem beklagten Wirtschaftsprüfer und der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft mbH, der dieser angehörte, die geleisteten Zahlungen auf die Kapitalanlagen, Zinsaufwendungen für die entsprechenden Finanzierungsdarlehen und Rechtsanwaltskosten als Schadensersatz. Das klagezusprechende Urteil des Oberlandesgerichts wurde vom BGH durch Revisionsentscheidung im Wesentlichen bestätigt.
Zur Begründung der Haftung der Beklagten aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB, die ein sittenwidriges Verhalten voraussetzt, das nach seinem Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, zieht der BGH im Urteilsfall den Rechtsgedanken der sogenannten Expertenhaftung für unrichtige (Wert-) Gutachten und Testate heran. Danach ist einem Wirtschaftsprüfer oder allgemein einem Wertgutachter, der ein unrichtiges Gutachten bzw. ein unzutreffendes Testat erstellt, bei einer besonders schwerwiegenden Verletzung der ihn treffenden Sorgfaltspflichten i ein Sittenverstoß anzulasten. Die Sittenwidrigkeit des Verhaltens folgt dabei aus dem Umstand, dass der Gutachter (der Auskunftserteilende) aufgrund seines Expertenstatus ein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nimmt, selbst aber nicht im Mindesten den an einen Experten zu richtenden Maßstäben genügt, weil er bei seiner Begutachtung bzw. der Auskunftserteilung ein leichtfertiges und gewissenloses Verhalten an den Tag legt. Für die Annahme der Sittenwidrigkeit genügt kein bloßer Fehler des Gutachters. Voraussetzung ist vielmehr, dass sich der Gutachter durch nachlässige Erledigung, z.B. durch nachlässige Ermittlungen oder gar durch Angaben ins Blaue hinein der Gutachtenaufgabe entledigt und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tagt legt, die angesichts der Bedeutung des Gutachtens für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint.
Diese Grundsätze sind im Urteilsfall nach Auffassung des BGH entsprechend anzuwenden. Der beklagte Wirtschaftsprüfer hat zwar über die Jahresabschlüsse der Anlagegesellschaften kein falsches Testat erteilt. Er hat sich aber mit seinem Expertenstatus als Abschlussprüfer in den Dienst der von ihm geprüften Gesellschaft gestellt und den Vertriebsmitarbeitern der Anlagegesellschaft irreführende Verkaufsargumente geliefert. Im Hinblick auf die Interessen potentieller Anlageinteressenten war seine Bezeichnung des Eigenkapitals als „ausgezeichnet“, welche es erlaube, die Aktien der Anlagegesellschaft als „Blue Chips“ einzuordnen, rücksichtslos. Dabei war ihm klar, dass Anlageinteressenten mit seinen diesbezüglichen Äußerungen zwangsläufig in Berührung kommen würden und diese im Vertrauen auf seine berufliche Integrität und fachliche Autorität zur Grundlage ihrer Entscheidung machen würden. Nach den aufgrund der Vernehmung verschiedener Zeugen vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen hatten die Vertriebsmitarbeiter der Anlagegesellschaften (Angehörige von Strukturvertrieben) bei ihren Beratungsgesprächen mit Anlageinteressenten stets das hohe Eigenkapital als maßgebendes Verkaufsargument eingesetzt und sich in dem Zusammenhang auf den beklagten Wirtschaftsprüfer berufen.
Den Versuch der Beklagten, den vom klagenden Anleger behaupteten Schaden zu bestreiten, indem behauptet wurde, der Kläger habe nicht vorgetragen und das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, dass das Eigenkapital der Anlagegesellschaften nicht ausgereicht habe oder gar negativ gewesen sei und dass die Forderungen der Gesellschaft (diese war später in Insolvenz gegangen) gegen die diversen Anleger nicht durchsetzbar gewesen seien, wischt der BGH mit dem Hinweis vom Tisch, der Schaden des klagenden Anlegers bestehe bereits in der Zeichnung der „ungewollten“, weil unter Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts aufgedrängten Anlage. Der Anspruch des Anlegers auf Rückgängigmachung der so zu Stande gekommenen Beteiligung gehe nicht verloren, wenn sich die Anlage aus Gründen nachteilig entwickle, die vom Gegenstand der Fehlinformation verschieden sind. Grund für den Anspruch auf Rückgängigmachung sei die Tatsache, dass die vom Kläger erworbene Beteiligung weder so hochwertig noch so risikoarm war, wie sie der beklagte Wirtschaftsprüfer in den beiden Seminarveranstaltungen gegenüber Vertriebsmitarbeitern beschrieben hatte.
Auch am Vorsatz des beklagten Wirtschaftsprüfers hat der Bundesgerichtshof keine Zweifel. Der Beklagte habe Kenntnis von den die Sittenwidrigkeit prägenden Umständen gehabt und mit Schädigungsvorsatz gehandelt. Dafür genüge es, dass der Beklagte angenommen habe, dass seine Äußerungen als Wirtschaftsprüfer zur exzellenten Eigenkapitalausstattung der Anlagegesellschaften und zum Charakter ihrer Aktien als Blue Chips die Anleger erreichen würden und geeignet waren, sie dadurch zur Zeichnung einer Anlage zu motivieren, indem sie die wirtschaftliche Potenz der Anlagegesellschaften falsch einschätzten. Eine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Ziels seines Handelns sei nicht erforderlich, vielmehr genüge das billigende in Kauf nehmen der für möglich gehaltenen Schadensfolgen mit der Maßgabe, dass eine jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage wie die Belastung mit einem Verlustrisiko ausreiche.
Das Urteil des BGH ist zu begrüßen. Der vom BGH bei Anwendung von § 826 BGB herangezogene Schadenbegriff lässt – ähnlich wie beim Straftatbestand der Untreue gemäß § 266 Strafgesetzbuch – eine bloße Vermögensgefährdung (Belastung mit einem Verlustrisiko) genügen und stellt in dem Zusammenhang nicht allein auf die objektive Vermögenslage der Anlagegesellschaft bei Zeichnung der Anlage ab, sondern auf die Sicht des Anlagers, der zur Zeichnung der Anlage „ungewollt“, weil „ … unter Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts …“ durch täuschende Angaben veranlasst worden war. Maßstab für die Anlageentscheidung des klagenden Anlagers war ein hohes sicheres Eigenkapital wie bei einem „Blue Chip“, hinter diesen Eigenschaften solchen Eigenschaften blieb das Kapital der Anlagegesellschaft weit zurück. Auf die Frage, ob das Eigenkapital der Anlagegesellschaft bei Zeichnung ausreichte oder nicht, kam es folglich gar nicht an.
[BGH, Urt. v. 19.11.2013 – Az. VI ZR 336/12]