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Verfasser dieser News:

Lothar Lachner

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

30. Januar 2017

Sozialversicherungsfreiheit von Minderheits-Gesellschafter-Geschäftsführern ohne generelle Sperrminorität – wie ist das gestaltbar?

Ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, bei der Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst werden und an der der Gesellschafter-Geschäftsführer zu weniger als 50 % beteiligt ist, ist in der Regel abhängig beschäftigt, weil er den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegt. Er unterliegt daher grundsätzlich der Sozialversicherungspflicht.

Von dieser Grundregel gibt es seit jeher in bestimmten Fallkonstellationen Ausnahmen.

Ein solcher Ausnahmefall lag auch dem Sozialgericht Reutlingen zur Entscheidung vor. In dem Fall hatte der mit nur 24 % am Gesellschaftskapital beteiligte Geschäftsführer einen Statusfeststellungsantrag gestellt und in diesem Verfahren die Auffassung vertreten, er sei bei seiner Geschäftsführungstätigkeit im Wesentlichen weisungsfrei und unterliege daher nicht der Sozialversicherungspflicht. Die Beklagte hatte entgegen der Auffassung des Klägers durch Bescheid das Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses festgestellt. Dagegen richtete sich die Klage.

Der Gesellschaftsvertrag der GmbH enthielt in § 6 Absatz 7 die Regelung, dass auch betroffene Gesellschafter, welche zum Geschäftsführer bestellt sind, im Rahmen von sonst mit einer Mehrheit von 75 % möglichen Beschlüssen zur Änderung des Gesellschaftsvertrages in jedem Fall zustimmen müssen, wenn Beschlüsse über die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern oder über den Abschluss, die Änderung und Kündigung von Anstellungsverträgen gefasst werden sollen, sofern die betroffenen Personen Gesellschafter sind. Insofern stellte der Gesellschaftsvertrag zusätzliche Anforderungen für eine Satzungsänderung im Sinne von § 53 Absatz 2 Satz 2 GmbHG auf. Im Geschäftsführeranstellungsvertrag war geregelt, dass der Kläger seine Tätigkeit als Geschäftsführer unter Berücksichtigung der maßgeblichen Gesetze, der Satzung und seines Anstellungsvertrages nach eigenem Ermessen und weisungsfrei ausübt (Textziffer 2.2 des Geschäftsführeranstellungsvertrags). An anderen Stellen des Anstellungsvertrages wie auch im Gesellschaftsvertrag selbst waren keine nennenswerten Beschränkungen des Klägers in Bezug auf die Leitung der Geschäfte der Gesellschaft enthalten. Der Geschäftsführeranstellungsvertrag, der nur durch einen Beschluss mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafter – Geschäftsführers geändert werden konnte, sicherte mithin dem Kläger bei der Führung der Geschäfte der GmbH im Wesentlichen Weisungsfreiheit.

Diese Rechtsmacht des Klägers, über die typischerweise nur derjenige Gesellschafter-Geschäftsführer verfügt, der mehrheitlich an einer Gesellschaft beteiligt ist oder dem satzungsmäßig eine Sperrminorität gegen unliebsame Gesellschafterbeschlüsse eingeräumt ist, sah das Sozialgericht als ausreichende Grundlage für die Annahme weisungsfreier selbständiger Tätigkeit entgegen § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB IV an und gab der Klage statt.

Der entschiedene Fall wies noch einige weitere Besonderheiten auf. Nach dem Inhalt des Geschäftsführervertrags war der Kläger auch alleinvertretungsberechtigt und von den Bestimmungen des § 181 Absatz 1 BGB befreit. Zwischen den 3 Gesellschaftern – darunter einem Mehrheitsgesellschafter mit 52 % Beteiligung – bestand ein Stimmbindungsvertrag, wonach die Gesellschafter sich verpflichtet hatten, zur Verwirklichung einer einheitlichen Führung der Gesellschaft übereinstimmend abzustimmen oder sich übereinstimmend der Stimme zu enthalten. Der Vertrag sollte für alle Gesellschafterbeschlüsse gelten, die bei der Gesellschaft zu treffen sind. Des Weiteren war im Geschäftsführeranstellungsvertrag geregelt, dass das Gehalt der wirtschaftlichen Entwicklung jeweils angepasst werden solle. Der Geschäftsführer sollte zusätzlich eine jährliche Sonderzahlung erhalten, die zwischen den Parteien vorher vereinbart werde und sich an dem Geschäftsergebnis des zurückliegenden Geschäftsjahres orientiere. Dauer und Länge seines Urlaubs konnte der Kläger frei bestimmen, solange die Belange der Gesellschaft nicht beeinträchtigt werden (Nr. 5 des Geschäftsführeranstellungsvertrages).

Diese Gesichtspunkte hat das Sozialgericht Reutlingen bei der grundsätzlich anzustellenden Gesamtschau mit berücksichtigt, indes zum Ausdruck gebracht, dass der Inhalt des Geschäftsführeranstellungsvertrages über die im Wesentlichen weisungsfreie Geschäftsführungstätigkeit des Klägers in Zusammenhang mit der Regelung in § 6 Absatz 7 des Gesellschaftsvertrags, die eine Änderung des Geschäftsführeranstellungsvertrages gegen den Willen des Klägers ausschließt, entscheidend sei.

Anmerkung:

Anders als manche Stimmen in der Presse, die den Eindruck vermitteln, allein das Zustimmungserfordernis des Gesellschafter-Geschäftsführers zu Änderungen des Geschäftsführeranstellungsvertrages oder zur Abberufung als Geschäftsführer sichere eine ausreichende Weisungsfreiheit und führe zur Sozialversicherungsfreiheit, ist der Urteilsfall schon „spezieller“ angelegt. Denn über das Zusammenspiel der Regelungen im Geschäftsführeranstellungsvertrag und dem Zustimmungserfordernis in der Satzung war sichergestellt, dass der klagende Gesellschafter-Geschäftsführer wie sonst nur ein Mehrheits-Gesellschafter-Geschäftsführer gegenüber der Gesellschafterversammlung weisungsfrei das Unternehmen leiten konnte.

Ob eine solche Gestaltung, die den Weg zur Sozialversicherungsfreiheit eröffnen kann, im Einzelfall von den anderen Gesellschaftern wirklich gewünscht ist, dürfte die in der Praxis entscheidende Frage sein. Anteilseigner, die über die Mehrheit des Kapitals verfügen, wollen sich in der Regel auch entsprechenden Einfluss auf die Geschäftsführer vorbehalten. Die auch im Urteilsfall bestehende Möglichkeit, den Geschäftsführeranstellungsvertrag gegebenenfalls aus wichtigem Grund zu kündigen beziehungsweise eine Abberufung aus wichtigem Grund ohne Zustimmung des Minderheitsgesellschafters (§ 47 Absatz 4 GmbHG) herbeizuführen, wird dafür in der Regel nicht ausreichen.

[Gerichtsbescheid des SG Reutlingen v. 28.06.2016 – Az. S 8 R 1775/14]