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Verfasser dieser News:

Montgomery Hardebeck

20. August 2015

Praxistipp Insolvenzanfechtung – Lehrreiches vom OLG Oldenburg zur sog. Vorsatzanfechtung

Gläubiger haben es schwer. Oft müssen sie ihren Schuldnern mit viel Zeit- und Geldaufwand hinterhermahnen, prozessieren und vollstrecken, und wenn es ganz schlecht läuft, kommt der Insolvenzverwalter und fordert das Erlangte zurück

Ein lehrreiches Beispiel für die drastischen Konsequenzen, die eine Insolvenz rückwirkend auf eine erfolgreiche Schuldenbeitreibung haben kann, hat jüngst das TelDaFax-Insolvenzverfahren geliefert. Das Oberlandesgericht Oldenburg hatte in zweiter Instanz über die Klage des Insolvenzverwalters gegen einen Netzbetreiber auf Rückzahlung von Entgelten zu entscheiden.

Hintergrund des Rechtsstreits war die vom Insolvenzverwalter erhobene Behauptung, der Netzbetreiber habe in einem Zeitraum von bis zu sieben Monaten vor Insolvenzantragstellung trotz Kenntnis von der (zumindest drohenden) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin noch Zahlungen entgegen genommen und damit eine Benachteiligung der übrigen Gläubiger wissend in Kauf genommen. Die Berechtigung der Forderungen war dabei unstreitig. Es ging einzig um die Frage, ob die Art der Erlangung der Zahlungen die übrigen Gläubiger in rechtlich unzulässiger Art und Weise benachteiligt hat und ob das Geld daher in die Insolvenzmasse zurückzuzahlen sei, um alsdann an der gleichmäßigen Verteilung auf alle von der Insolvenz betroffenen Gläubiger teilzunehmen.

Aus diesem Grunde hatte der Insolvenzverwalter gegenüber der fraglichen Gläubigerin gem. § 133 Abs. 1 InsO die sog. „Vorsatzanfechtung“ der im Zeitraum Dezember 2010 bis April 2011 erlangten Zahlungen erklärt; die Antragstellung war erst im Juni 2011 erfolgt. Die Zahlungen erfolgten zum einen jeweils erst nach mehreren Mahnungen (waren also überfällig) und zuletzt aufgrund der Drohung des Netzbetreibers, die Geschäftsbeziehung zu kündigen (sie erfolgten also auch unter erheblichem Druck). Hinzu kam, dass die Gläubigerin wegen der Zahlungsrückstände ab Dezember 2010 auch nur noch gegen Vorkasse das Vertragsverhältnis fortsetzen wollte (ein weiteres wirtschaftliches Druckmittel). Schließlich, so der Verwalter, hätte die Beklagte Gläubigerin obendrein spätestens ab Dezember 2010 auch zwingend Kenntnis einer schweren wirtschaftlichen Krise bei TelDaFax aus Rundfunk und Presse gehabt.

Diese Gesamtumstände führten in Summe dazu, dass das Gericht – anders als noch die Vorinstanz – feststellte, dass der Netzbetreiber die (drohende) Zahlungsunfähigkeit oder aber zumindest solche Umstände, welche zwingend hierauf hätten schließen lassen müssen, gekannt habe. Denn erst das Bewusstsein von einem hohen Ausfallrisiko habe die Gläubigerin zu der härteren Gangart gegenüber der Schuldnerin und letztere wiederum zur Zahlung veranlasst. Mit derselben Argumentation musste der Netzbetreiber sich auch vorhalten lassen, dass ihm die Benachteiligung anderer Gläubiger, welche nicht entsprechende Druckmittel wie etwa eine Netzsperre hatten, bewusst sein musste. Folglich, so der Senat, seien die fraglichen Zahlungen als in gläubigerbenachteiligender und auch im Übrigen anfechtbarer Weise erlangt anzusehen und das Rückforderungsbegehren des Insolvenzverwalters gerechtfertigt.

Praxistipp: Wer es mit säumigen Zahlern zu tun hat, muss sich bewusst machen, dass im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Zahlungen aus der Zeit deutlich vor Antragstellung rückwirkend angreifbar werden können.

Damit ist nicht etwa eine Bewertung der vorher (z.B. auch im Wege der Zwangsvollstreckung) erfolgten Beitreibung als unzulässig verbunden. Ganz im Gegenteil: Wer eine notleidende Forderung hat, der darf sie natürlich auch auf dem Rechtswege durchsetzen.

Der Gesetzgeber hat aber mit den Regelungen zur Insolvenzanfechtung auch deutlich gemacht, dass es einen Zeitpunkt im wirtschaftlichen Leben eines Schuldners gibt, ab die Gläubiger nicht mehr im „Wettlauf“ untereinander um die beste Vollstreckungsmöglichkeit einzeln gegen den Schuldner vorgehen sollen; vielmehr soll eine Gleichbehandlung der Gläubiger herbeigeführt werden (Sonderregelungen hier einmal außer Acht gelassen), welche gleichmäßig aus einem einheitlichen Topf bedient werden sollen.

Dieser zeitliche Schnittpunkt ist allerdings für den einzelnen Gläubiger im Vorhinein nicht fassbar, und genau hierin liegt das Anfechtungsrisiko. Da die sichere Feststellung der wirtschaftlichen Krise und der Gläubigerbenachteiligung in der Regel erst im Rahmen eines eröffneten Insolvenzverfahrens möglich ist, hat der Gesetzgeber dem Insolvenzverwalter, welcher in diesem Punkt die Interessen der Gläubigergesamtheit vertritt, mit den Anfechtungstatbeständen der §§ 129ff. InsO ein Mittel zur nachträglichen Rückholung bestimmter Leistungen in die Insolvenzmasse an die Hand gegeben. Das heißt, dass ein Gläubiger erst nach Insolvenzantragstellung die theoretischen Rückschlagfristen der verschiedenen Anfechtungstatbestände berechnen kann und sogar erst nach Insolvenzeröffnung weiß, ob es überhaupt einen Insolvenzverwalter geben wird, der eine Anfechtung erklären könnte. Kommt es nämlich zur Abweisung mangels Masse, wird auch kein Verwalter bestellt, was wiederum heißt, dass von dieser Seite keine Anfechtung droht.

Aus Sicht der Gläubiger, die teils über Jahre hinweg erst Titel erstreiten und dann gegen ihre Schuldner vollstrecken müssen, ist diese besondere Rechtslage sicherlich unbefriedigend. Das Thema ist unter kaufmännischen Aspekten auch schwer vermittelbar, hat doch der Gläubiger nur das erstritten, was ihm zustand. Allein, es ist der Wille des Gesetzgebers, dass in bestimmten (nur im Nachhinein berechenbaren) Zeiträumen vor einer möglichen Insolvenzantragstellung bestimmte Arten der Beitreibung unterbleiben bzw. nachträglich im Wege der Insolvenzanfechtung ausgeglichen werden. Diesem gesetzgeberischen Willen trägt die Rechtsprechung – wie man jetzt wieder sieht – auch konsequent Rechnung.

Dabei gibt es neben dem hier behandelten Fall der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO verschiedenste weitere Anfechtungstatbestände mit rückwirkenden Anfechtungszeiträumen von einem oder wenigen Monaten bis zu zehn (!) Jahren vor Insolvenzantragstellung. Ein paar Beispiele:

  • Nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind durch Vollstreckungsmaßnahmen innerhalb des letzten Monats vor Antragstellung oder danach erlangte Zahlungen ohne weitere Voraussetzungen anfechtbar. Auf den Nachweis einer Zahlungsunfähigkeit oder der Kenntnis des Gläubigers von einer wirtschaftlichen Schieflage kommt es nicht einmal mehr an. Hier handelt es sich sicherlich um die aus Gläubigersicht fatalste Anfechtungsmöglichkeit, da eine Abwehr in den meisten Fällen unmöglich ist.
  • § 131 Abs 1 Nr. 2 InsO erklärt im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Zahlungen für anfechtbar, sofern sie im zweiten oder dritten Monat vor Antragstellung erfolgten und der Schuldner zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig war. Auch hier liegen wieder nur objektive, vom Gläubiger unabhängige Tatbestandselemente vor, die eine Abwehr nahezu aussichtlos machen.
  • Beide vorgenannten Anfechtungstatbestände sind neben den Fällen einer Zwangsvollstreckung auch auf weitere Fallkonstellationen sogenannter inkongruenter Deckungen anwendbar, d.h. wenn der Gläubiger eine Leistung in einer anderen als der geschuldeten Art und Weise erlangt hat, z.B. durch Stellung von Sicherheiten, Herausgabe von Gegenständen zur Verwertung o.ä.
  • In § 130 InsO wiederum sind verschiedene Fallgruppen zusammengefasst, wonach selbst bei Erlangung einer Zahlung in der geschuldeten Art und Weise (sog. kongruente Deckung) der Gläubiger das Erlangte dann Zurückzahlen muss, wenn er die Zahlung innerhalb der letzten drei Monate vor Antragstellung erlangte und von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners Kenntnis hatte. Eine Zahlung muss demnach sogar dann zurückgewährt werden, wenn sie nach Antragstellung erfolgte und der Gläubiger lediglich von der Antragstellung wusste.

Dies sind – wie gesagt – nur einige Beispiele für die umfangreichen, gesetzlich vorgesehenen Anfechtungstatbestände. Es ist allerdings rasch zu erkennen, dass sich für die Gläubiger hier ein wahres Minenfeld auftut; denn die Gläubiger können durch eigenes Verhalten durchaus zur Anfechtbarkeit einer Zahlung beitragen.

Dabei sind natürlich die Anfechtungstabestände mit rein objektiven, im Schuldner angelegten Anknüpfungskriterien (z.B. Zahlungsunfähigkeit, Antragstellung, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen), bei denen es also auf ein Kennen oder Kennenmüssen bestimmter Umstände auf Gläubigerseite nicht mehr ankommt, taktischen Erwägungen grundsätzlich entzogen. Zwar kann der Gläubiger stets versuchen, mit dem Insolvenzverwalter einen Vergleich zu schließen und so den Zahlbetrag vielleicht herunterzuhandeln. Echte prozessuale Erfolgsaussichten hat er aber nicht, wenn die objektiven Voraussetzungen einer Anfechtung gegeben sind.

Etwas anderes gilt bei den Tatbeständen, welche subjektive Voraussetzungen an eine Anfechtbarkeit knüpfen, wie eben auch die Vorsatzanfechtung im hier entschiedenen Fall. Entscheidend dafür, ob ein Insolvenzverwalter in diesen Fällen gute Erfolgsaussichten für eine Anfechtung hat, ist insbesondere auch die Kommunikation zwischen Gläubiger und Schuldner in der Zeit vor Insolvenzantragstellung. Je mehr Hinweise sich etwa aus Mahnschreiben oder aber auch aus oftmals achtlos hin- und hergeschriebenen Emails auf eine Kenntnis der Notlage des Schuldners beim Gläubiger oder ggf. sogar auf vom Gläubiger auf den Schuldner ausgeübten Druck ergeben, desto leichter fällt es dem späteren Insolvenzverwalter, die Anfechtbarkeit erlangter Zahlungen nachzuweisen und die Erstattungsansprüche der Insolvenzmasse gegen den Gläubiger erfolgreich durchzusetzen.

Dabei ist ein Warnhinweis wichtig: Viele von einer Insolvenzanfechtung betroffene Gläubiger verschlechtern ihre prozesstaktische Situation durch allzu übereilte und umfangreiche Erwiderungsschreiben. Oftmals erlangt der Insolvenzverwalter erst auf diesem Wege nachträglich noch zusätzliche Informationen, die sich ansonsten nicht einmal aus den Schuldnerunterlagen ergeben hätten und die eine Anfechtungsklage überhaupt erst schlüssig machen.

Merke: Die grundsätzliche Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Einlassung bedeutet nicht, dass man dem Insolvenzverwalter darüber hinaus selbsttätig die ihm fehlenden Beweismittel liefern muss, um einen erfolgreich verklagen zu können.

Es empfiehlt sich also, auf eine Anfechtung nicht übereilt zu reagieren, sondern vor Kontaktaufnahme mit dem Gegner Rat bei einem fachkundigen Anwalt zu suchen.

[OLG Oldenburg, Pressemitteilung v. 12.08.2015, Urt. v. 23.07.2015 – Az. 1 U 94/14]