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Verfasser dieser News:

Montgomery Hardebeck

Fachanwalt für IT-Recht

15. September 2013

Kippt der „fliegende Gerichtsstand“ beim Filesharing noch vor der Gesetzesänderung?

Eine der von Anschlussinhabern bundesweit als besonders ungerecht empfundenen Besonderheiten im Bereich der Filesharing-Abmahnungen war und ist der sog. fliegende Gerichtsstand. Dieser ermöglicht es den Rechteinhabern und den für sie tätigen Abmahnkanzleien, sich zur Durchsetzung der strittigen Ansprüche das in ihren Augen günstigste Gericht auszusuchen.

Ein Beispiel aus unserer Beratungspraxis:

Eine von uns vertretene, in Köln wohnende Anschlussinhaberin wird beschuldigt, mehrere Pornos im Internet zum Tausch angeboten zu haben. Aufgrund einer guten Beweislage und insbesondere eines Entlastungszeugen wurde zwar vorbeugend eine sog. modifizierte Unterlassungserklärung abgegeben. Eine Zahlung wurde allerdings verweigert.

Die gegnerischen Kollegen haben unsere Mandantin nun vor dem AG München verklagt. Die ausdrückliche Rüge der örtlichen Unzuständigkeit wurde lapidar unter Verweis auf § 32 ZPO zurückgewiesen. Außerdem wurde das persönliche Erscheinen unserer Mandantin angeordnet. Dieser bleibt nun keine andere Wahl, als sich im Oktober unter der Woche einen Tag Urlaub zu nehmen, um sich alsdann mit entsprechenden Kosten nach München aufzumachen und dem Gericht dort zwecks Befragung zur Verfügung zu stehen.

Gegen diese in unseren Augen nicht nur einfach „ungerechte“, sondern letztlich auch grundrechtswidrige Praxis laufen zahlreiche Kollegen und auch engagierte Politiker bereits seit Jahren Sturm. So verspricht, wenn es denn nun endlich verabschiedet würde, das sog. „Anti-Abzock-Gesetz“ (korrekter Titel: Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken) im aktuellen Entwurf Abhilfe. Durch Neufassung des § 104a Urhebergesetz (UrhG) wird der fliegende Gerichtsstand für derlei Fälle abgeschafft und durch den Gerichtsstand am Wohnsitz des Anschlussinhabers und angeblichen Filesharers ersetzt.

Einige Gerichte – und dies ist nun ein erfreulicher Aspekt der jüngst zu verzeichnenden Bewegung, welche in die Rechtsprechung zum Thema gekommen ist – wenden sich aber bereits jetzt gegen den fliegenden Gerichtsstand und erklären sich bereits vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung für unzuständig.

So haben das AG Frankfurt/M. am 13.06.2013 (Az. 30 C 906/13) und das AG Berlin Mitte am 26.08.2013 (Az. 6 C 65/13) in Hinweisbeschlüssen die klagenden Rechteinhaber darauf hingewiesen, dass für die willkürliche Wahl des Gerichtsstands keine Rechtsgrundlage gegeben sei und sich hierzu ausdrücklich auch auf den aktuellen Gesetzesentwurf berufen.

Für an einer Vertiefung des Themas interessierte Leser möchten wir die rechtlichen Grundlagen der bisherigen Rechtsage  näher ausführen.

Begründet wird die auch „Forum-Shopping“ genannte Praxis mit einer Ausnahmeregelung in der Zivilprozessordnung (ZPO). Normalerweise ist eine Person nach deutschem Recht am Gericht ihres Wohnortes zu verklagen (§ 13 ZPO). Das heißt, dass z.B. bei Zahlungsklagen je nach Streitwert das für den Wohnort zuständige Amts- bzw. Landgericht örtlich zuständig ist. Von dieser Grundregel werden in der ZPO nun zahlreiche Ausnahmen gemacht. Neben Sonderregelungen etwa für Erbschaftsfragen oder Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen gibt es auch für Streitigkeiten aufgrund sog. unerlaubter Handlungen eine Ausnahmeregel. § 32 ZPO bestimmt den Gerichtsstand für derartige Streitigkeiten am Gericht des Handlungsortes, d.h. dort, wo die Tat begangen wurde.

Für im Internet begangene Rechtsverletzungen ergibt sich zwangsläufig die Frage, wie denn der Handlungsort zu definieren ist. Ist es der Ort, an welchem der Täter seinen Tatbeitrag geleistet hat, also dort, wo sich sein Computer befindet? Oder ist es z.B. der Ort, an welchem die Rechtsverletzung sich auswirkt, also dort, wo eine zum Download angebotene Datei abgerufen werden kann?

Letzterer Auffassung folgt der weit überwiegende Teil der deutschen Gerichte und schafft damit die Grundlage dafür, dass Inhaber eines Internetanschlusses, welchen Filesharing vorgeworfen wird, ganz nach Belieben der Abmahnkanzleien quer durch die Republik verklagt werden können (wenn auch mit der Einschränkung, dass bestimmte Amtsgerichte in ihrem jeweiligen OLG-Bezirk eine Sonderzuständigkeit für Urheberfragen haben). Dies führt zu mehreren, für die Anschlussinhaber extrem nachteiligen Folgen:

  • Die Abmahnkanzleien bauen durch die oftmals unverhüllt ausgesprochene Drohung mit einem Prozess fern des Wohnortes Druck auf die Betroffenen auf, sich auf teils horrende Zahlungsvergleiche einzulassen, um nicht für ihre Verteidigung vor Gericht mehrere hundert Kilometer reisen zu müssen. Lassen sich die Beklagten dennoch auf eine gerichtliche Klärung ein, ist ihnen die Möglichkeit, sich durch einen vollumfänglich bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten zu lassen und selbst nicht vor Gericht zu erscheinen, faktisch abgeschnitten. Die Gerichte ordnen in der Regel das persönliche Erscheinen der beklagten Anschlussinhaber an, um sich ein persönliches Bild von deren Glaubwürdigkeit zu machen. Dieser Anordnung nicht Folge zu leisten ist prozesstaktisch riskant.
  • Die Vernehmung von Zeugen, welche ggf. Aufschluss über die Nutzungsverhältnisse an dem streitgegenständlichen Internetanschluss, über eine Abwesenheit des Anschlussinhabers zum Tatzeitpunkt, die Sicherung des W-LANs, die Belehrung aller Mitnutzer des Anschlusses oder vielleicht sogar den tatsächlichen Täter geben können, gerät zur logistischen Großoperation. Sind z.B. bei einer 5-köpfigen Familie all diese Fragen zu klären, muss im äußersten Fall jedes als Internetnutzer in Betracht kommende Familienmitglied als Entlastungszeuge benannt werden und dann auch vor Gericht erscheinen. Allein die hier drohenden Kosten lassen viele Betroffene vorzeitig die Waffen strecken und lieber teure Zahlungsvergleiche eingehen. Bei Zeugen, die keine nahen Verwandten oder Freunde sind (etwa ehemalige WG-Mitbewohner) können die Beklagten außerdem nur hoffen, dass sie auch wirklich zum Termin erscheinen. Andernfalls werden weitere Termnierungen erforderlich.
  • Am schwersten wiegt allerdings die Tatsache, dass die Abmahnkanzleien sich die Gerichte danach aussuchen, wo die ihren Mandanten günstigste Rechtsprechung zu erwarten ist. Da die deutschen Gerichte unabhängig sind, ist z.B. das AG München nicht an Entscheidungen aus Frankfurt oder Hamburg gebunden. In dem hieraus resultierenden Flickenteppich an untergerichtlichen Einzelfallentscheidungen picken sich die Abmahner im wahrsten Sinne des Wortes die Rosinen heraus und verklagen die diesem Treiben wehrlos ausgelieferten Anschlussinhaber bei dem Gericht mit der mutmaßlich „günstigsten“ Rechtsprechung. Auch dies wird in den Abmahnschreiben klar zum Ausdruck gebracht und begegnet uns in der täglichen Arbeit sowohl telefonisch als auch schriftlich als unverhohlene „Warnung“.

Alles in allem eine verfahrene Situation für die Anschlussinhaber, welche sich aber ggf. durch die neuere Entwicklung nun verbessern könnte.

Es bleibt zu hoffen, dass die von den Gerichten in Berlin und Frankfurt vertretene Rechtsauffassung auch bei anderen Gerichten Schule macht und die Anschlussinhaber in Deutschland damit nicht länger in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör, welcher auch darauf gerichtet ist, eine wirtschaftlich faire Aussicht zu haben, sich überhaupt vor Gericht verteidigen zu können, verletzt werden.

Die Entwicklung kommt spät, aber für die jährlich hunderttausenden Betroffenen wäre es eine erhebliche Erleichterung, nicht erst auf das Inkrafttreten eines Gesetzes warten zu müssen, welches seit Jahren in der Warteschleife ist und augenscheinlich gegen massive Widerstände mehrfach überarbeitet und durchgefochten werden musste und muss.

[AG Frankfurt/M., Beschl. v. 13.06.2013 – Az. 30 C 906/13; AG Berlin Mitte, Beschl. v. 26.08.2013 – Az. 6 C 65/13]