4. April 2014
Millionengeschäft Filesharing-Abmahnung vor dem Ende? AG Köln streicht Schadenersatzforderung drastisch zusammen
In einem vom Sachverhalt eher banalen Filesharing-Rechtsstreit (der Beklagte Anschlussinhaber ist nicht erschienen, so dass die Haftung unterstellt wurde und dem Grunde nach Versäumnisurteil erging) hat das Amtsgericht Köln in überraschend deutlicher Form die Schadensersatzansprüche der klagenden Rechteinhaberin buchstäblich zusammengestrichen.
Die klagende Rechteinhaberin forderte für das per Filesharing erfolgte öffentliche Anbieten eines kompletten Musikalbums mit dreizehn Titeln Ersatz für den sogenannten Lizenzschaden in Höhe von mindestens 2.500 €, wobei die endgültige Höhe ins Ermessen des Gerichts gestellt wurde.
Ausgeurteilt wurde trotz Ausbleibens des Beklagten allerdings nur ein Gesamtbetrag von 130 €, also gerade mal 10 € pro Lied anstelle der geforderten ca. 190€ pro Stück; alles in allem für die Abmahnkanzlei ein herber Rückschlag, nicht zuletzt auch wegen der damit aufgrund des deutlich geringeren Streitwertes ebenfalls erheblich verringerten, erstattungsfähigen Abmahnkosten. Diese Kosten waren ebenfalls eingeklagt zum Ausgleich der Gebührenrechnung der abmahnenden Anwälte. Das Gericht reduzierte sie von geforderten 1.379,80€ auf 130,50 €. Alles in allem standen für den Beklagten am Ende lediglich 260,50 € auf der Rechnung statt der als Minimum geforderten 3.879,80 €.
Rechnet man hinzu, dass die Klägerin 93% der Kosten des Prozesses zu tragen hat und der Beklagte nur 7%, kann man mit Fug und Recht von einer schallenden Ohrfeige für die abmahnende Seite sprechen.
Die rechtliche Argumentation des Gerichts ist ebenso überzeugend wie simpel. Wer Filesharing betreibt, tut dies als einzelner Nutzer eines Netzwerkes von „vielen Millionen Menschen“. Konkreter wird hierzu ausgeführt: „An die Filesharing-Netzwerke sind ständig weltweit zumindest Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen Teilnehmer angeschlossen und das Filesharing erlaubt einen Zugriff nicht nur auf die Dateien, die anderweitig soeben „getauscht“ werden, sondern regelmäßig auch auf solche Dateien, die auf einem Computer eines Netzwerkteilnehmers irgendwann gespeichert wurden. (…) Angesichts dieser Gegebenheiten fehlt der Vorstellung, das Filesharing würde sich im Einzelfall auf die weltweite Verbreitung der Dateien auswirken, die tatsächliche Grundlage.“
Bemerkenswert ist dabei der ergänzend vom Gericht herangezogene Gedanke, dass die geteilten Titel fragmentiert, d.h. zur Gewährleistung eines schnelleren Tausches in kleine Teilschnipsel zerlegt und erst beim Empfänger des angefragten Tauschtitels wieder zusammengesetzt werden. Dabei liefert in der Regel nicht ein „Anbieter“ (= derjenige Filesharer, der gerade uploadet) die notwendigen Schnipsel, sondern eine Vielzahl von Anbietern. Daher zeitige „die einzelne Teilnahme keine nennenswerten Folgen“.
Das Gericht geht sogar noch weiter und stellt fest: „Würde die einzelne Teilnahme nicht stattfinden, so würden spätere Nachfragen nach dem betroffenen Werk durch Benutzung und Zusammensetzung von Dateifragmenten anderer Teilnehmer des Netzwerks befriedigt. Dieser Sachzusammenhang mag bei seltener nachgefragten Werken nur eingeschränkt gelten, ganz sicher aber gilt er bei dem hier streitbefangenen, seinerzeit aktuellen Musikalbum einer der populärsten Künstlerinnen der Welt.“
Das ist eine bemerkenswerte Feststellung, kehrt sie doch die bisher die Debatte um Schadenersatz bei Filesharing bestimmende Logik komplett um. Bisher galt: je aktueller und populärer ein Titel, desto höher muss der Schadenersatz ausfallen. Dies sieht das Amtsgericht Köln mit der nun vorgelegten Entscheidung diametral anders.
Das Urteil ist aber auch unter einem weiteren Aspekt bemerkenswert.
Das Gericht hat den zu entscheidenden Fall und die Frage der Höhe des zu ersetzenden Schadens auch in die Entwicklung von Markt und Technik in den letzten fünfzehn Jahren eingebettet. Die Entwicklung zeige, so das Gericht, dass die legalen Angebote zum Konsum etwa von Musiktiteln mit Flatrates im Bereich von 10€ pro Monat weit unter dem liegen, was die Rechteinhaber und die Abmahnkanzleien im Wege der Schadenersatzklagen zu realisieren versuchen.
Würde man den Forderungen stattgeben, so das Gericht, käme dies faktisch einem sog. Strafschadenersatz gleich, wie ihn insbesondere das anglo-amerikanische Recht kennt. Das heißt, der Abgemahnte soll nicht nur den entstandenen Schaden wiedergutmachen, sondern zusätzlich eine Strafe an den verletzten Rechteinhaber zahlen. Das entspricht aber nachweislich nicht unserem deutschen Schadenersatz-System und vor allem nicht der aktuellen gesetzgeberischen Tendenz in Deutschland. Hier wurde durch das Gesetz gegen unlautere Geschäftspraktiken (im Volksmund Anti-Abzock-Gesetz), das am 09.10.2013 in Kraft trat, eine klare Wertung dahingehend vorgenommen, dass der Filesharer im Einzelfall (!) eben nicht mit derart horrenden Forderungen zur Kasse gebeten werden soll (vgl. unsere News vom 21.09.2013).
Das Gericht hat hier unterstrichen, dass in dem genannten Gesetz die „Abmahnung von Filesharing-Teilnehmern“ ebenfalls zu den „unseriösen Geschäftspraktiken“ gezählt wird. Folglich wäre selbst dann, wenn ein Strafschadenersatz gesetzlich normiert würde, in keinem Fall von Beträgen in den geforderten Höhen auszugehen.
Und eben diese Aussage macht das vorliegende Urteil so wichtig. Das Gericht überträgt damit die Argumente, die den Gesetzgeber zur Begrenzung der Abmahnkosten bewogen haben, auch auf den hiervon grundsätzlich erst einmal unberührten Schadenersatz mit dem Fazit: Wenn Abmahnen von Einzelfällen unseriös ist und keine übermäßigen Anwaltsgebühren verursachen darf, kann auch der Schadenersatz sich nur in moderaten Höhen bewegen.
Dass die gängige Rechtsprechung deutscher Gerichte in den letzten Jahren sich um derlei Abwägungen nicht gekümmert hat, sieht das Amtsgericht Köln durchaus und stellt lapidar fest: „Es entsteht der Eindruck, dass die herrschende Rechtspraxis die beiden, die anwaltlichen Abmahngebühren bewusst begrenzenden gesetzlichen Regelungen aus den Jahren 2008 und 2013 offensichtlich soweit irgend möglich, ignoriert.“
Gemeint ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber vor 2013 bereits mit einem zum 01.01.2008 in Kraft getretenen Gesetz versucht hatte, der Massenabmahnerei einen Riegel vorzuschieben und dass nahezu alle deutschen Gerichte bereitwillig der Argumentation der Rechteinhaber folgten, die Kappungsgrenze bei (damals) 100€ sei selbst bei Filesharing eines einzigen Titels wegen der theoretisch weltweiten und damit „gewerbsmäßige Ausmaße“ erreichenden Abrufbarkeit nicht anzuwenden.
Diese Gefahr einer gerichtlichen Verwässerung des neuen Gesetzes besteht auch heute noch, weil das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken Ausnahmen bei „Unbilligkeit“ zulässt; eine Ausnahme, die die großen Abmahnkanzleien bereits durchgängig zum Bestandteil ihrer nach dem 09.10.2013 umgestellten Standard-Abmahnungen gemacht haben.
Aus meiner Sicht bleibt zu sagen, dass das Amtsgericht Köln hier eine extrem mutige, umsichtige und noch dazu exzellent begründete Entscheidung gefällt hat. Man darf zwar davon ausgehen, dass die Klägerin in Berufung gehen wird; aber die Tatsache, dass die Zahl der Richterinnen und Richter, die sich den schablonenhaften Denkmustern der letzten Jahre widersetzen, stetig steigt.
Das macht Mut.
[AG Köln, Urt. v. 10.03.2014 – Az. 125 C 495/13]