29. März 2018
Eine für alle Bauvertragsparteien wichtige Rechtsprechungsänderung des BGH:
Kein Anspruch auf Schadensersatz (kleiner Schadensersatz) für nichtbeseitigte Mängel nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten
Der Bundesgerichtshof hat am 22.02.2018 seine bisherige jahrzehntelange Rechtsprechung zum Schadensersatzanspruch für nichtbeseitigte Mängel, berechnet nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten, aufgegeben. Diese Rechtsprechungsänderung wird sich zumindest in allen Bereichen des Werkvertragsrecht – im Bereich der Bau-, Architekten- und Ingenieurverträge – auswirken.
Im Folgenden werden die Leitsätze der Entscheidung, die im Nachschlagewerk, in BGHZ und in BGHR veröffentlicht werden wird, wörtlich wieder:
1. Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann im Rahmen eines Schadenersatzanspruches statt der Leistung („kleiner Schadensersatz“) gegen den Unternehmer gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).
2.a) Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann den Schaden in der Weise bemessen, dass er im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der durch das Werk geschaffenen oder bearbeiteten, im Eigentum des Bestellers stehenden Sache ohne Mangel und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt. Hat der Besteller die durch das Werk geschaffene oder bearbeitete Sache veräußert, ohne dass eine Mängelbeseitigung vorgenommen wurde, kann er den Schaden nach dem konkreten Mindererlös wegen des Mangels der Sache bemessen.
b) Der Schaden kann in Anlehnung an § 634 Nr. 3, § 638 BGB auch in der Weise bemessen werden, dass ausgehend von der für das Werk vereinbarten Vergütung der Minderwert des Werkes wegen des (nicht beseitigten) Mangels geschätzt wird. Maßstab ist danach die durch den Mangel des Werkes erfolgte Störung des Äquivalenzverhältnisses.
3a) Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel beseitigen lässt, kann die von ihm aufgewandten Mängelbeseitigungskosten als Schaden gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB ersetzt verlangen. Vor Begleichen der Kosten kann der Besteller Befreiung von den zur Mängelbeseitigung eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen.
b) Darüber hinaus hat der Besteller, der Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB verlangt, grundsätzlich weiterhin das Recht, Vorschuss gemäß § 634 Nr. 2, § 637 BGB zu fordern, wenn er den Mangel beseitigen will.
4. Auch im Verhältnis zum Architekten scheiden hinsichtlich der von ihm zu vertretenden Planungs- oder Überwachungsfehler, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, Ersatzansprüche in Höhe der fiktiven Mängelbeseitigungskosten betreffend das Bauwerk aus.
5a) Lässt der Besteller den Mangel des Bauwerkes nicht beseitigen, kann er seinen Schaden gegenüber dem Architekten im Wege einer Vermögensbilanz nach dem Minderwert des Bauwerkes im Vergleich zum hypothetischen Wert des Bauwerkes bei mangelfreier Architektenleistung bemessen oder ggf. – bei Veräußerung des Objektes – nach dem konkreten Mindererlös.
b) Hat der durch die mangelhafte Architektenleistung verursachte Mangel des Bauwerkes zur Folge, dass eine Störung des Äquivalenzverhältnisses des Bauvertrages vorliegt, kann der Besteller stattdessen seinen Schaden auch an der Weise bemessen, dass er ausgehend von der mit dem Bauunternehmer vereinbarten Vergütung den mangelbedingten Minderwert des Werkes des Bauunternehmers ermittelt.
6a) Lässt der Besteller den Mangel des Bauwerkes beseitigen, sind die von ihm aufgewandten Kosten als Schaden gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB vom Architekten zu ersetzen. Vor Begleichung der Kosten kann der Besteller Befreiung von den eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen.
b) Darüber hinaus hat der Besteller wegen Planungs- oder Überwachungsfehlern, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, einen Schadensersatzanspruch gemäß § 634 Nr. 4, § 280 BGB auf Vorfinanzierung in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrages gegen den Architekten.
Soweit die umfangreichen Leitsätze des Urteils. Die Auswirkungen dieser Rechtsprechungsänderungen im Einzelnen werden abzuwarten bleiben.
Fest steht jedenfalls, dass die Entscheidung rückwirkend für alle ab dem 01.01.2002 geschlossenen Verträge gilt (Rz. 31 der Entscheidungsgründe). In laufenden Prozessen hat das Gericht dem Kläger oder dem beklagten, der mit einem Schadensersatzanspruch wegen fiktiven Mängelbeseitigungskosten die Aufrechnung erklärt, die Möglichkeit zu geben, den Schaden nach den neuen Grundsätzen neu zu berechnen oder die Klage auf Kostenvorschuss umzustellen.
Interessant und neu ist der Gesichtspunkt, dass (vgl. den Leitsatz zu 6b)) auch der Auftraggeber eines Architekten oder Ingenieurs für im Bauwerk entstandene Schäden wegen Planungs- oder Überwachungsfehlern einen Anspruch auf Vorfinanzierung der Kosten der Schadensbeseitigung in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechenden Betrages gegen den Architekten hat (also eine Art Vorschussanspruch, der auch die noch nicht gezahlte Umsatzsteuer umfasst und den es bisher nur gegen ein ausführendes Unternehmen nach Maßgabe von § 637 Abs. 3 BGB bzw. – im VOB/B – Vertrag – gemäß § 242 BGB gab).
Wir sind auf die Reaktionen der Fachwelt gespannt, ferner ob sich die neuen Grundsätze allgemein im Schadensersatzrecht – bspw. in Verkehrsschadensachen – durchsetzen werden.